Unsere Lebensinsel-Geschichten lustige und wissenswertige, manchmal auch nachdenkliche Dinge rund um die spannende Welt der Insekten. Einige dieser Geschichten gibt es auch in einer Hörversion, die Links findet ihr in unserem Mitmachbuch.
Der Honigsee
Mehr Schein als Sein
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Ende eines Lotterlebens
Hören oder nicht hören, das ist hier die Frage
Nektarorgie
April, April ….
Der Duft von Eden
Des einen Freud, des anderen Leid
Hugo mit den Sommersprossen
Auf meiner Wiese
Alles hat einen Anfang
Das Mitmachbuch für die ganze Familie
Der Honigsee
Wer jetzt denkt, es geht in dieser kleinen Begebenheit um exklusive Körperpflege oder um kulinarische Phantasien, der irrt gewaltig.
Es fing alles ganz harmlos an.
Mein Mann hatte vor zwei Tagen wieder mal die Waben von unseren Bienen ausgeschleudert. Beim Reintragen der Zargen war er noch sehr optimistisch. Das Gewicht der Kisten versprach eine gute Honigernte.
Nach dem Entdeckeln der Waben und dem ersten Anschleudern war die Stimmung schon sehr getrübt, denn in den Waben befand sich Melizidosehonig, auch bekannt als Zementhonig. Der Name verrät es schon ein wenig, dieser Honig wird fest, sehr fest.
Was Melezidosehonig ist? Am Anfang stehen die Schnabelkerfen. Kennt ihr nicht? Ich glaube schon, denn die Blattläuse gehören auch zu dieser Insektengruppe.
Die Läuse treten irgendwann im Frühsommer in den Wäldern auf. Sie benötigen für ihre Ernährung Proteine und diese holen sie sich aus den Pflanzensäften. Nun hat dieser Saft allerdings nur wenig Protein, dafür aber ums so mehr Zucker. Das heißt, die Läuse müssen viel von diesem Saft trinken um ihren Proteinbedarf zu decken. Der überschüssige Zucker wird nicht gebraucht und darum wieder ausgeschieden. Das ist übrigens das klebrige Zeug auf den Blättern. Der Imker nennt nun diese Ausscheidung Honigtau – eine schöne Umschreibung.
Die Honigbiene, die Massentrachten liebt, also viel Nahrung auf einem Fleck, verwandelt diesen Honigtau in ihren Magen mit Hilfe ihrer Enzyme in den Waben dann zu Honig. Meist wird er als Waldhonig angeboten. Der schmeckt etwas herber, aber ist lecker.
Die ganze Sache hat aber manchmal einen Haken. Es gibt Zeiten, da sind massenhaft Pflanzenläuse unterwegs und der gewonnene Waldhonig hat zu viel Melizitose. Das ist ein Dreifachzucker. Wenn die Konzentration dieses Zuckers 10 % übersteigt, dann fängt der Honig bereits in der Wabe an zu kristallisieren.
Das hat wiederum zur Folge, dass der Imker den Honig gar nicht oder nur sehr mühsam aus den Waben herausbekommt.
Mein Mann quälte sich nun schon den zweiten Tag mit diesem Honig herum. Aus den Waben war er bereits heraus, aber das Filtern war echt mühsam. Der Honig läuft normalerweise durch mehrere verschiedene Filter. Beim Zementhonig dauert das natürlich ewig. Manchmal wir dann ein Spitzsieb benutzt, welches wie eine Zipfelmütze aussieht. Nur das es verkehrtherum auf dem Eimer aufgesetzt wird. Soviel zur Theorie.
Ich hatte es mir gerade mit einem Buch gemütlich gemacht, als ein lauter Schrei mich hochfahren lies. Ich rannte in unseren Honigraum, denn von dort kam er her, der Schrei und sah die Bescherung.
Mein Mann stand mit dem Zipfelsieb in der Hand und vor seinen Füßen breitete sich, ganz langsam, ein Honigsee aus.
Nach den ersten hektischen Überlegungen (wo sind die Badelatschen, mit welchem Utensil bekommen wir jetzt am schnellsten den Honig vom Boden und ist es sinnvoll, eine kurze Hose anzuziehen), schippten wir beide mittels einer Kehrschaufel den Honig wieder in den Eimer, damit er dann entsorgt werden kann. Die ganze Arbeit der letzten Tage umsonst…
Es soll ja Menschen geben, die mögen es, klebriges Zuckerzeug anzufassen. Ich gehöre definitiv nicht dazu. Bei dieser Aktion klebte einfach alles, was man anfasste, sogar die Badelatschen klebten am Boden fest. Mein Mann war verständlicherweise zuerst ziemlich sauer. Aber irgendwann war die Situation so komisch, dass wir beide herzlich anfingen lautstark zu lachen.
Nachdem ich dann mit viel heißem Wasser den Boden wieder sauber hatte und auch alle klebrigen Utensilien, dieses nicht geplanten sonntäglichen Arbeitseinsatzes, einschließlich der Badelatschen, zum Trocknen in der Sonne standen, saß ich draußen auf der Bank. Ja, schade um den schönen Honig. Wären ein paar Gläser für den Verkauf daraus geworden. Aber ich musste auch an unser herzliches Lachen denken und das kann man auch für viel Geld nirgendwo kaufen.
© Yvonne Scholz 2024
Mehr Schein, als Sein…
Nach getaner Gartenarbeit sitze ich auf meiner Bank und lasse die Seele baumeln. Ich beobachte eine dicke Hummel, wie sie fleißig die Blüten des Lungenkrautes nach Pollen und Nektar absucht. Ein paar unserer Honigbienen leisten ihr Gesellschaft und beim Zuschauen fallen mir langsam die Augen zu…
Ich träume, dass ich eine Hummel bin, gerade geschlüpft und sehr hungrig. Ich muss mich ja jetzt um den Nestbau kümmern und den Nachwuchs großziehen. Und das ganz alleine, sozusagen bin ich eine alleinerziehende Hummelfrau.
Genug geschwatzt, der Magen knurrt. Also, los auf Entdeckungstour. Oh, da hinten steht ein schöner, gelber Strauch. Ganz viele kleine Blüten. Das wird ein Schmaus.
Pech gehabt, das muss wohl eine Forsythie sein. Sieht schön aus, hat aber für uns Insekten gar nichts zu bieten. Kein Pollen, kein Nektar.
Da, am Fenster blüht es bunt. Nix wie hin. Auch wieder nichts. Stiefmütterchen… Auch hier kein Pollen, kein Nektar. Wenn ich jetzt nicht bald etwas zu fressen bekomme, stürze ich vor Hunger noch ab. Da fliegen die Honigbienen herum, ich hänge mich mal ran. Ah, das tut gut…Endlich gibt es was zu futtern. Ein ganzes Beet voll Wildkrokusse, Traubenhyazinthen und Blausternchen. Da, eine Weide steht am Wegesrand und hinter dem Haus ganz viel blühendes Lungenkraut. Die Menschen nennen es manchmal auch Brüderchen und Schwesterchen, weil es rote und blaue Blüten gibt. Mir sind die roten lieber, die haben mehr Nektar zu bieten. Aber jetzt im Frühjahr darf man nicht wählerisch sein, man muss nehmen was man kriegen kann…
So langsam wache ich aus meinem merkwürdigen Traum auf und entdecke immer noch Hummeln auf dem Lungenkraut .Ja, das mögen sie sehr. Aber wie war das noch mit den Stiefmütterchen? Ich google mal nach. Tatsächlich, das Stiefmütterchen ist eine Mogelpackung. Kein Pollen, kein Nektar. Genauso wie die Tulpen, die Geranien und der Flieder. Etwas betrübt schaue ich auf meine gerade frisch eingepflanzten Stiefmütterchen, die dieses Jahr besonders farbenprächtig sind. Ich google weiter und werde fündig. Hornveilchen bieten den Insekten genügend Nahrung an. Also werden ich die restlichen Blumenkästen damit bepflanzen. Eine Alternative für das bunte Tulpenmeer sind Wildtulpen, zum Beispiel die Weinbergtulpe. Nicht ganz so farbenfreudig, dafür eine gute Adresse für Bienen und Co. Selbst für den Flieder gibt es eine Alternative, den Holunder. Dieser wird im Norden auch als Flieder bezeichnet.
Ich räkele mich auf meiner Gartenbank, stehe dann doch endlich mit schmerzendem Rücken auf und begutachte mein Blumenkasten -Experiment vom letzten Jahr. Statt immer nur Geranien und Petunien habe ich den Kasten mit Salbei, Pfefferminz, Lavendel und kleinem Steinbrech bepflanzt. Sah schön aus, die Bienen, Hummeln und Schmetterlinge mochten die Pflanzen auch und was das Beste ist, alle Pflanzen sind durch den Winter gekommen und treiben gerade neu aus. Ist doch cool…
Also, mir gefällt mein neuer Naturgarten.
Yvonne Scholz ©
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Ich kämpfe gerade mit einer widerspenstigen Löwenzahnwurzel, die partout nicht aus der trockenen Erde neben dem Beet heraus will. Mein Handy klingelt und signalisiert mir, Gartenarbeit für heute geschafft…
Gott sei Dank, denken Rücken und Knie. Mein innerer Antreiber jedoch schaut nur kurz über die bereits geschafften Beete und bleibt natürlich bei den unerledigten Bereichen hängen. Ja, ich weiß. Eigentlich wollte ich schon viel weiter mit dem Garten sein. Und ja, es ist schon Ende Mai und so spät waren wir noch nie dran. Aber dieses Jahr ist eben auch kein gewöhnliches Jahr. Wo sich sonst beim gemeinsamen Garteneinsatz die Vereinsmitglieder mit Lust und Laune zuerst über das Unkraut und dann über die leckere Pizza aus dem Holzbackofen hermachten, hocke ich dank Corona alleine im Garten und versuche, so gut es eben zeitlich geht, dem Unkraut Herr zu werden.
Ich werfe den Löwenzahn auf die volle Schubkarre und murmele, wie zur Entschuldigung:
„ Tja, mein Freund. Du warst leider zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Ich muss schmunzeln. Diesen Satz benutze ich manchmal bei meinen Führungen auf unserem Heilpflanzenpfad. Denn wenn der Löwenzahn im Beet mit der Nummer 4 wächst, ist alles in Ordnung. Da gehört er, zumindest bei uns, auch hin. Als Heilpflanze spült er die Nieren und die Blase gut durch und ist somit ein beliebtes Kraut für eine Frühjahrskur. Auf dem Gartenweg oder im Nachbarbeet hat er aber nichts zu suchen. Das gilt für alle Pflanzen auf dem Heilpflanzenpfad. Manche halten sich daran, wie zum Beispiel der majestätische Alant. Andere Kräuter dagegen sind ständig auf Wanderschaft. Die Walderdbeere zum Beispiel, die sich mit der Brennnessel und dem Giersch ein Beet teilen muss. Alle drei Pflanzen sind laut Volksmedizin gut gegen Rheuma und Gicht. Der Giersch ist den meisten Gärtnern wegen seines ausbreitenden Wesens ja oft ein Dorn im Auge. Ich sag dann immer: „Wenn sie den Giersch loshaben wollen, dann essen sie ihn auf!“ Er ist nicht nur ein leckeres Wildgemüse, auch in der Kräuterlimonade schmeckt er gut. Darum ist der Bezeichnung Unkraut für die Pflanzen auf meiner Schubkarre nicht wirklich korrekt. Solange sie in ihrem angedachten Beet bleiben, sind es Heilpflanzen. Nehmen sie jedoch Reißaus, dann landen sie auf dem Kompost und kommen über Umwege wieder in die Beete zurück. Aber so ist das eben mit dem Sprachgebrauch. Auch mit dem Ausspruch „Unkraut zupfen“ tue ich mich etwas schwer. Also, wenn ich mir so meine Gartenausrüstung anschaue –Grabegabel, Hacke, Wurzelstecher – dann wird bei mir nicht gezupft, sondern eher geklotzt. Manchmal sogar gekämpft, zum Beispiel mit der Nelkenwurz. Aber das ist eine andere Geschichte…
Egal, für heute ist es genug. Ich mache jetzt eine Pause und lasse mir meinen Kräutertee schmecken. Wenn ich so auf meine Schubkarre blicke, dann könnte ich meinen Tee auch glatt „Unkrauttee“ nennen…
Yvonne Scholz ©
Endes eines Lotterlebens
Die ersten Getreidefelder sind abgeerntet und das Heu ist unter Dach und Fach. Eine Ahnung von Herbst macht sich breit, obwohl die Sonne noch tüchtig brennt.
Ich habe mir ein schattiges Plätzchen im Obstgarten in der Nähe der Bienenstöcke gesucht. Zeit, um in Ruhe das Treiben an den Fluglöchern zu beobachten. Doch schon nach ein paar Minuten höre ich ein Stimmengemurmel und sehe von weitem einige Besucher in Richtung der Bienen laufen. Nix mit Ruhe, denke ich etwas enttäuscht und wollte schon aufstehen. Doch irgendetwas hielt mich davon ab und so blieb ich einfach sitzen und lauschte. Die Besucher hatten jetzt den Bienenstand erreicht, mich aber scheinbar noch nicht entdeckt.
„Schau mal Papa, was machen die Bienen denn da?“ „Hm, keine Ahnung…“, hörte ich eine Männerstimme antworten. “ Da, da sind ja ganz viele tote Bienen auf der Erde“, warf jetzt eine Frauenstimme ein.“ Eine rege Diskussion kam in Gange. Als dann jedoch die Worte Bienensterben, Unkrautvernichter und Landwirte fielen, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und sorgte mit meinem „Hallo allerseits“ erstmal für kurzes Erschrecken.
„Wenn es sie interessiert und sie Lust haben, erkläre ich ihnen gerne, was da gerade im Bienenstock passiert.“ Sie hatten Lust…
Wer denn so alles im Bienenstock zu Hause ist, wollte ich von dem Mädchen wissen, welches so aufmerksam das Geschehen vor dem Flugloch beobachtet hatte.
„Na, Arbeiterinnen, Drohnen und eine Königin“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
„Richtig! Und wer ist da gerade am Flugloch zu sehen?
„Hm… Arbeiterinnen und…Drohnen? , fragend schaute sie mich an.
„Ja.“, ich nicke ihr aufmunternd zu „Du weißt ja gut Bescheid…“
„Hatten wir gerade in der Schule.“, kam prompt als Antwort zurück.
Na, dann hast du ja auch sicher schon mal was von der Drohnenschlacht gehört.“, Ich schaute sie fragend an, aber es kam nur ein verlegenes Kopfschütteln.
„Drohnenschlacht?“, hakte der Vater ein, „für was kämpfen die Drohnen denn da?“
„Die kämpfen für gar nichts, sie werden bekämpft. Die Drohnen sind ja die Männer im Bienenvolk und die einzigen ohne Stachel. Auch haben sie keinerlei anatomische Werkzeuge, sodass sie von den Arbeiterinnen gefüttert werden müssen und selber nicht arbeiten können.“
„Und was machen die dann so den ganzen Tag?“, wollte eine der Frauen wissen.
„Na, es sind halt wirkliche Machos“, entgegnete ich mit einem schmunzeln. „Sie fliegen bei schönem Wetter raus in die Natur und treffen sich mit den Drohnen der anderen Bienenstöcke irgendwo beim sogenannten Drohnensammelplatz. Dort verbringen sie die Zeit bis sie Hunger haben und fliegen dann wieder zurück. Ihre einzige Aufgabe ist die Begattung der jungen Königin, die sie allerdings mit ihrem Leben bezahlen, wenn sie zum Zuge kommen.“
„Wie das denn? , fragend schauten mich alle an.
„Beim Begattungsakt wird dem Drohn der Geschlechtsapparat rausgerissen, da er fest mit der Königin verhakt ist. Ja, keine schöne Vorstellung…“, lachend schaute ich in die entsetzten Gesichter der Männer.“ Den Drohnen, die da nicht zum Zuge kommen, geht es dafür bei der Drohnenschlacht an den Kragen. Die Arbeiterinnen haben nämlich keine Lust, diese Müßiggänger weiter durchzufüttern. Und das was wir hier gerade sehen, ist der Anfang des Gemetzels.“ Ich zeigte auf die Fluglöcher. „Schaut einmal genau hin und sagt mir, was ihr da seht.“
Angestrengt beobachteten alle die Fluglöcher.
„Da, schaut mal, die kleineren Bienen zerren einen Drohn nach draußen“, war mit einmal eine aufgeregte Mädchenstimme zu hören. „Ja, und hier lassen sie einen Drohn gar nicht mehr hinein“, warf jetzt die Mutter ein.
„Und was passiert jetzt mit den ganzen Drohnen?“, wollte der Vater von mir wissen.
„Die verhungern vor dem Stock beziehungsweise dienen sie ein paar Vögeln noch als kleine Zwischenmahlzeit.“
„Da ist aber gemein!“, riefen zeitgleich Mutter und Tochter empört aus.
„Das ist nicht gemein, das ist der Lauf der Natur. In einem Bienenstock geht es immer um das Überleben des gesamten Volkes. Die Aufgabe der Drohnen ist nun mal die Fortpflanzung. Und die ist im August abgeschlossen. Die Winterzeit ist für die Bienen sehr herausfordernd, da werden unnütze Honigfresser nicht geduldet.“
„Na, zum Glück bin ich kein Drohn und bekomme auch im Winter mein Essen.“, rief einer der Männer lachend in die Runde und streichelte seinen wohlgeformten Bierbauch.
Yvonne Scholz ©
Nektarorgie
Ein wunderschönes Gedicht eingereicht von
Herrn Eberhardt Börner, Mai 2020
Auf einer Wiese drunten,
so einer tausendbunten
mit Blumen jeder Wahl,
da hatten sie ihr Glück gefunden,
Insekten, ohne Zahl.
Oh, wie sie leckten, wie sie schleckten,
wie sie naschten, summten, sogen,
dass sich der Gräser Halme bogen.
Vom Nektar sie betrunken war’n.
Sie schwirrten kreuz und quer
und trugen Hosen gelb und schwer.
Da kam ob solcherlei Gebar’n
ein Schmetterling,
dem es um klare Ordnung ging
und sprach:
„Die Nektarorgie ist jetzt aus.
Ich sag’s zum letzten Mal.
Ihr fliegt sofort nach Haus.“
–
Es war ein Admiral.
April, April, der weiß nicht, was er will…
Ich stehe am Fenster und schaue leicht genervt auf die weiße Pracht, die da vom Himmel fällt.
Nichts gegen Schnee, aber wir haben bereits April. Vor einer Woche habe ich bei der Gartenarbeit bei über 20° so was von geschwitzt und jetzt schneit es schon den dritten Tag in Folge.
Ich habe ja, allen Wetterunbilden zum Trotz, ein Dach über dem Kopf und eine funktionierende Heizung. Aber was ist mit all den Insekten, die ich vorige Woche bereits im Garten getroffen habe. Die Honigbienen, Hummeln und das Tagpfauenauge?
Um unsere Honigbienen mache ich mir die wenigsten Sorgen. Sie haben schon fleißig Pollen eingetragen und können sich in ihrer Vorratskammer bedienen. Da haben es die Hummeln schon schwerer. So eine Jungkönigin hat es nicht einfach. Sie ist die Einzige, die überwintert. Im Frühjahr heißt es für sie erst einmal einen geeigneten Nistplatz suchen, damit das neue Hummelvolk gegründet werden kann. Hummeln nisten gerne in Totholz, Steinhaufen oder Erdlöchern und benötigen im Frühjahr dringend Pollen und Nektar. Damit werden die ersten Larven gefüttert und etwas Honig für Schlechtwetterperioden als Vorrat eingelagert. Na, hoffentlich liegen die Hummeln aus unserem Garten jetzt nicht mit allzu großen Magenknurren in ihren Nestern. Sollten sie mal eine erschöpfte Hummelkönigin im Frühjahr draußen finden, hilft ein wenig Zuckerwasser. Auf einem Löffel kann man dieses dem Tier anbieten.
Jetzt scheint die Sonne. Der blaue Himmel leuchtet zwischen den Schäfchenwolken hindurch und der Schnee fängt langsam an zu tauen.
Wo wohl das Tagpfauenauge jetzt sein mag? Ich war schon erstaunt, es bereits im März fliegen zu sehen. Da habe ich mich im Internet schlau gemacht und erfahren, dass dieser Schmetterling eine Lebenserwartung von rund zwei Jahren hat. Er muss somit auch zwei Winter überstehen. Wenn es genügend frostfreie Unterschlupfmöglichkeiten gibt, ist dass alles kein Problem. Aber so ein überraschender Wintereinbruch kann da schon eine Herausforderung sein. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir geht immer das Herz auf, wenn so ein Falter an mir vorbei segelt. Die „Geburt“ eines Schmetterlings hat für mich etwas Magisches. Eine Raupe verpuppt sich und nach einer gewissen Zeit schlüpft ein Tier mit einem völlig anderen Körper. Dieser Schlupf aus dem Kokon ist für den Schmetterling sehr anstrengend. Manche Tiere schaffen es nicht und sterben dabei. Nun darf der Mensch da aber nicht eingreifen. Tut er es trotzdem und hilft so einem erschöpften Schmetterling, kann dieser nicht fliegen. Denn nur durch die eigene Kraftanstrengung wird genügend Blut in die Flügel gepumpt und der Falter kann graziös von Blüte zu Blüte segeln.
Nächste Woche soll es wieder schöner werden, dann geht’s ab in den Garten. Die letzten Beete bekommen ihren Frühlingsschnitt. Bin schon gespannt, welch tierischer Gast mich dann besuchen kommt…
© Yvonne Scholz April 2021
Der Duft von Eden
Eberhardt Börner, Juli 2020
An Sommertagen sitze ich
sehr oft in meiner Apotheke.
Ja, glaubt mir, es verstehet sich,
es ist mein Garten, den ich hege.
So manches Pflänzlein lebt nun dort.
Für Kräuter ist’s ein wahrer Hort.
Da blüht schon lang das Bohnenkraut;
auch Weihrauch hab‘ ich angebaut.
Basilikum Oreganum,
die duften um die Wette.
Der Lorbeerbusch wohl auch sehr gern
so schöne Blüten hätte.
Erdbeerminze, Thymian
die Sinne mir betören.
Rosmarin und Majoran,
ich könnte darauf schwören.
Aus all den Düften binde ich
mir täglich einen Strauß.
Er ist ein Lebenselixier für mich:
Der kleine Garten Eden,
gleich hinter meinem Haus
Des einen Freud, des anderen Leid
Ich stehe mit einer Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit in unserem Garten.
Mein Blick schweift über die Beete. Wo eigentlich Kartoffeln, Spinat, Salat, Zwiebeln und andere leckere Gemüsesorten wachsen sollen, schauen mich nur kahle Strünke und dunkelbraun windende Leiber an. Schneckenalarm.
Den haben wir ja jedes Jahr, seitdem die spanische Nacktschnecke auch das eher kühle Erzgebirge erobert hat. Bisher konnte ich mit viel experimentellen Einsatz, die Fressgier dieser Schleimer in gewissen Grenzen halten.
Was habe ich nicht schon alles probiert: Bierfallen eingegraben, Sägespäne und Reisig um die Jungpflanzen gelegt, extra Schneckenzäune aufgestellt, Schneckenkorn ausgebracht, Studentenblumen und Kapuzinerkresse als Ablenkung gepflanzt. Ich gebe es ungern zu, aber ich habe zeitweise auch schon zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Vom Einsammeln und weit weg wieder in die Freiheit entlassen, über Absammeln und die Tiere ins Jenseits befördern reicht hier die Palette. Wegen eventuell zartbesaiteter Leser verzichte ich hier auf Einzelheiten.
Mein Mann hat mir in einem ähnlich frustrierenden Jahr ein Buch mit dem schönen Titel „Der Schneckenflüsterer“ geschenkt. Ich habe also mit diesen Tieren meditiert und geredet – ja das soll funktionieren. Aber sie haben meine Botschaften leider nicht verstanden.
Aber was in diesem Jahr los ist, sprengt meine Vorstellungskraft. Soweit das Auge reicht, Schnecken, Schnecken und nochmals Schnecken. Eine Bekannte ist auf dem Gehweg auf einer Schnecke ausgerutscht und durfte dann stundenlang die Notaufnahme besuchen. Sogar ins Fernsehen haben es die schleimigen Gesellen schon geschafft. Ein Auto war auf einer invasiven Schneckenspur von der Fahrbahn abgekommen. Nun muss ich aber ehrlicherweise sagen, dass sich nicht nur braune Nacktschnecken im meinem Beeten tummeln. Nein, auch die Gehäuseschnecken sind aufmüpfig geworden. Bänderschnecken und Weinbergschnecken lassen sich die Petersilie und sogar den Schnittlauch schmecken. Merke gerade beim Schreiben: Schnecken reimt sich auf schmecken. Ob das wohl was zu bedeuten hat?
Haben Sie schon mal etwas vom Schwarzen Schlegel gehört? Nein? Seien Sie froh, das ist Deutschlands größte Nacktschnecke. Laut der Wissenschaft schafft sie es auf eine Körperlänge zwischen 20-30 cm. Die möchte ich mir in meinem Erdbeerbeet lieber nicht vorstellen. Zur Beruhigung: Limax cinereoniger, so der lateinische Name, ernährt sich hauptsächlich von Pilzen und vermodernden Laub.
In diesem Jahr hilft wohl nur eins: Ich gebe mich den Schnecken geschlagen, in der Hoffnung, dass es im nächsten Jahr nicht wieder so viel regnet.
Mein Blick fällt auf die Walderdbeeren und siehe da, es hängen doch tatsächlich noch welche dran.
Ich pflücke eine kleine Schüssel voll. Man weiß ja nie, wann die gierigen Schleimer ihren Appetit doch noch darauf ausrichten. Auf dem Weg nach Hause sehe ich plötzlich den blonden Schopf unseres Nachbarsohnes in der Wiese auf und ab tauchen. Neugierig geworden, bleibe ich stehen und rufe hinüber:“ Hallo Tim, magst du ein paar Walderdbeeren? Ich habe gerade welche gepflückt.“
Keine Antwort. Ich versuche es noch mal. „Tiiim! Magst du Erdbeeren?“
Endlich taucht der Kopf wieder auf und der Junge schaut sich erschrocken um. „Ach, du bist‘s. Ich kann gerade nicht, muss Max und Moritz suchen.“
„Max und Moritz?“, denke ich. Wusste gar nicht, dass die Nachbarn sich neue Haustiere angeschafft haben. „Soll ich dir suchen helfen?“, rufe ich zurück und gehe schon ein paar Schritte in Richtung Wiese.
„ Nein, brauchst du nicht“, kam es schnaufend zurück. Aber du kannst mal auf Sophie und Gustaf aufpassen, dass die nicht auch noch abhauen.“
„Sophie und Gustaf?“, frage ich etwas irritiert. „ Ja, die sitzen da vorne im Karton.“ Er zeigt wedelnd mit seiner kleinen Kinderhand die Richtung an. Ich marschiere also los und entdecke den besagten Karton am Wegesrand. Neugierig werfe ich einen Blick hinein und traue meinen Augen nicht.
„Aber Tim, das sind ja Schnecken!“ Eine schwarze Nacktschnecke macht sich gerade die Mühe, am Kartonrand hochzukriechen und eine Weinbergschnecke lässt sich ein Salatblatt schmecken.
„Na, klar doch. Die mit dem Gehäuse ist Sophie und der schwarze Deibel ist Gustaf“, kam es fröhlich aus der Wiese zurück. „Sind die nicht schön?“
Ich kann momentan darauf keine Antwort finden und es dämmert mir auch so langsam, wer wohl Max und Moritz sind.
Nach einer gefühlten Ewigkeit steht Tim dann strahlend vor mir und streckt mir stolz seine Hände entgegen. Auf jedem Handteller sitzt eine Weinbergschnecke, die sich in ihr Haus zurückgezogen hat.
„Schau, ich hab die Ausreißer wieder gefunden. Das hier ist Moritz, der ist etwas dunkler und das hier ist der Max.“ Liebevoll schaut der kleine Kerl seine Schnecken an. „Magst du sie mal streicheln?“, fragend schaut er mich an.
Ich schüttel energisch meinen Kopf und sage: „Weißt du, Tim. Ich bin ziemlich wütend auf die Schnecken. Sie haben mir meinen ganzen Garten kahlgefressen!“
„Meine hier waren das aber nicht!“, kam es prompt zurück. „Die bekommen immer leckeren Salat und Petersilie von mir.“ Nach einer kurzen Pause, kommt der Junge ganz dicht an mich heran und streichelt meinen Arm.
„Sei nicht traurig, die Schnecken haben doch auch nur Hunger. Die können nicht in den Supermarkt laufen. Ist doch viel zu weit. Aber du hast doch ein Auto, du kannst dir da alles kaufen.“
Auf diese kindliche Logik weiß ich keine Antwort. Aber wenn ich in die glücklichen Kinderaugen von Tim blicke, dann versuche ich, zumindest für den Augenblick, meinen Frust auf die Schnecken zu vergessen.
© Yvonne Scholz 7/2021
Hugo mit den Sommersprossen
Ich sitze entspannt in meinem Lieblingssessel, halte eine Tasse Tee in der Hand und genieße diese himmlische Ruhe.
Plötzlich wird diese durch ein ständiges Klingeln an meiner Haustür unwiederbringlich zerrissen.
Wütend laufe ich zur Tür, an der es immer noch wie wild klingelt und reiße diese genervt auf, bereit, dem unerwünschten Besucher deutlich meine Meinung zu sagen.
Vor mir steht Nachbars Sohn Tim. Dem sonst so lebenslustigen Blondschopf laufen dicke Tränen übers sein Sommersprossengesicht. Im ersten Moment bin ich total erschrocken, hocke mich schnell vor das weinende Kind hin und frage:“ Um Gottes Willen, Tim. Was ist den passiert?“
Der Junge schaut mich an und ruft mit tränenerstickter Stimme: „Der Hugo, der Hugoist in der Dornröschenhecke gelandet. Ich komme da überhaupt nicht ran. Hab’s ja versucht. Hier…“ Er streckt mir seine Hände entgegen, die vollkommen zerkratzt sind. An einigen Stellen blutet es leicht.
„Tim!“, rufe ich energisch. „Wo ist es passiert und wer ist Hugo? Ein Freund von dir?“ Ein Kopfschütteln ist die Antwort und dann kommt mit weinerlicher Stimme: „Hugo ist doch mein Drachen. Den haben wir gestern im Kindergarten gebastelt. Ich habe ihn vorhin fliegen lassen und dann kam so eine doofe Windböe und er ist in die Hecke gestürzt. Ich kriege ihn da nicht wieder raus und das hier tut dolle weh.“ Anklagend streckt er wieder seine zerkratzten Hände vor.
Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass Hugo zum Glück nur ein Papierdrache ist.
„Komm erstmal rein und geh ins Bad. Dort putz du dir Nase und wäschst dein Gesicht. Ich schau mir dann mal deine Hände an.“
Einige Zeit später sind wir unterwegs zur Wildhecke. Die grenzt an unsere Streuobstwiese. Ich sehe schon von weiten die Bescherung. Der Papierdrache hängt ziemlich weit oben im Wildrosenstrauch fest, hübsch eingerahmt vom restlichen Herbstlaub und den roten Hagebutten. Ich hole schnell die Leiter, die am Apfelbaum lehnt, klettere hinauf und versuche vorsichtig den Drachen aus seiner misslichen Lage zu befreien. Das ist gar nicht so einfach, denn ich will ja nicht noch mehr Löcher reinmachen, als ohne hin schon drin sind.
Geschafft. Stolz halte ich Tim seinen Drachen entgegen. Der verzieht schon wieder bedenklich sein Gesicht und schluchzt: „Wie sieht der den aus?! Der ist ja ganz kaputt! Der fliegt ja nie wieder…“ Wütend tritt der kleine Kerl in Richtung des Strauches und ruft laut: „Du blöde, blöde Hecke.“ Bevor sich der Junge nun auch noch die Beine zerkratzt, ziehe ich ihn weg und rede auf ihn ein. „ Hör auf damit. Wir gehen jetzt wieder rein und ich versuche den Hugo zu flicken. Hab da schon eine Idee. Schau mal, Tim. So eine Hecke ist nicht blöd. Was meinst du wie viele Tiere hier das ganze Jahr gut versteckt leben?Amsel, Rotkehlchen und Finken brüten gerne darin, denn die Dornenzweige bieten einen sicheren Schutz vor Feinden. Hier gibt es den Holunder, die Wildrosen, die Schlehen, Pfaffhütchen, Haselnuss. Viele Tiere ernähren sich von den Früchten und du magst ja wohl meine Heckenfruchtmarmelade auch.“ Ich drehe mich zu Tim um, aber der hat sein Interesse an meinen Erklärungen schon lange verloren. Er hat im hinteren Teil etwas entdeckt, was seine Neugier erregt hat. „Schau mal, was ich gefunden habe. Ein Vogelnest.“ Beherzt will der Junge schon wieder zugreifen.“ Ich kann gerade noch: „Finger weg! Du kratzt dich sonst schon wieder.“, ausrufen. „Warte, ich helfe dir“. Vorsichtig hole ich das leere Nest heraus. „Schau, es liegt sogar noch ein Ei darin. Komm, lass uns jetzt zurückgehen.“
Zu Hause angekommen schmiere ich Tim erstmal ein Butterbrot mit meiner Heckenmarmelade und lege ihm ein Vogelbuch hin. „Du kannst ja schon mal rumblättern, ob du darin unser Ei findest. Ich verarzte inzwischen deinen Drachen.“ In meinem Arbeitszimmer suche ich einige Zeit nach den bunten Klebepunkten, die doch irgendwo liegen müssen. Endlich habe ich sie gefunden und versuche dann, so vorsichtig wie möglich, die Löcher damit zu bedecken. Dauert eine kleine Weile, aber dann bin ich mit dem Ergebnis hoch auf zu frieden. Sieht doch toll aus, denke ich. Stolz gehe ich zu Tim hinüber und halte ihm den Drachen hin „Na, wie findest du ihn?“, frage ich erwartungsvoll.
Der Junge schaut erst mich an, dann seinen Drachen und dann wieder mich.
„Wie sieht der denn aus? Da lachen mich ja die anderen Kinder aus!“ Verzweifelt schaut er zu mich hoch.
Ich schaue den Drachen an und sage nur: „Er sieht toll aus und er passt auch zu dir, der Hugo mit den Sommersprossen.“
© Yvonne Scholz 2021
Auf meiner Wiese
Eberhardt Börner, Mai 2022
Was ist nur los auf meiner Wiese?
– Ein Getrappel, ein Gerappel –
Es flattert, krabbelt, kriecht und springt,
es zirpt, es brummelt und es singt:
*
Heupferde trappeln um die Wette.
Dicke Hummeln, sehr adrette,
sind trunken schon vom Blütensaft
und haben’s kaum nach Haus geschafft.
Sie torkeln schwer berauscht umher,
die Blütenkelche sind schon leer.
Libellen, glitzernd und grazil,
umschwirren sich beim Liebesspiel.
Geschäftig brummend, gar mit Zangen,
versuchen Käfer sich zu fangen.
Manch Regenwurm sich ängstlich windet
und hofft, dass ihn kein Vogel findet.
Schmetterlinge Nektar trinken,
mit ihren Flügeln freundlich winken.
Doch so manche kleine Spinne
webt ihr Netz mit schlauem Sinne.
*
Welch Gekrabbel, welch Gezappel!
Welch Gesumme, welch Gebrumme!
*
Was ist nur los auf meiner Wiese?
Das ist los auf meiner Wiese.
Alles hat einen Anfang, nur die Wurst hat zwei
„Hallo, Frau Nachbarin! Das trifft sich gut, dass ich sie hier treffe. Wo steckt denn eigentlich der Tim. Den hab ich die letzten Tage gar nicht zu Gesicht bekommen und das ist schon sehr ungewöhnlich.“
Fragend schaute ich die Mutti von Tim an. Die zuckte resigniert mit den Schultern und meinte nur: „ Ach, der Tim. Dem geht’s gerade nicht so gut, der trauert um Elsa.“
„Oh, Gott, ist die Oma verstorben?“ „Nein.“, kam es lachend von Tims Mutti zurück. Elsa war das Lieblingshuhn meines Sohnes und das hat wohl der Fuchs vor ein paar Tagen geholt. Wir haben nur noch ein paar Federn im Garten gefunden .Tim hat das Huhn sehr gemocht und nun sitzt er zu Hause rum wie ein Trauerkloß und ist zu nichts mehr zu begeistern. Können sie nicht mal mit ihm reden? Sie hatten doch immer einen guten Draht zueinander und Timmi hat immer viel von ihnen gehalten.“
Erwartungsvoll schaute mich die Frau an. „ Klar doch, ich komme heute Nachmittag mal vorbei. Jetzt will ich aber erstmal schnell meine Fotos entwickeln. Tschüss dann, bis später.“
Wie versprochen, ging ich am Nachmittag zu meinen Nachbarn rüber und fand den Tim zusammengekauert auf der Schaukel sitzen.
„Hallo, Tim. Deine Mutti hat mir erzählt, dass es dir momentan nicht so gut geht wegen der Elsa. Es tut mir leid, was passiert ist. Schau mal, ich habe heute Fotos ausgedruckt und da war auch eins von dir und Elsa dabei. Möchtest du es haben?“ Ich reichte ihm das Foto rüber. Nach längeren Zögern nahm der Junge das Bild, schaute drauf und die Tränen liefen ihm sofort über das Gesicht.
„ Ich hasse ihn, ich hasse ihn ganz doll!“ Der Junge sprang von der Schaukel und stampfte mehrmals mit den Füßen auf. „Wen hasst du?, fragend schaue ich in das verheulte Sommersprossengesicht des sechsjährigen. „Na, den ollen Fuchs! Wenn ich groß bin, werde ich Jäger und dann erschieße ich ihn!“
Trotz der ernsten Situation konnte ich mir ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. „Weißt du was, Tim, du bist zwar noch kein Jäger, aber wenn du magst, dann nehme ich dich morgen mit auf die Jagd. Aber wir müssen ganz zeitig los, noch vor Sonnenaufgang. Kommst du mit?“
Nach einer kurzen Pause des Überlegens nickte er.
Am nächsten Morgen kurz nach halb sechs, es war noch ziemlich kalt, holte ich den Jungen von zu Hause ab. Er war noch etwas verschlafen, aber doch irgendwie aufgeregt.
„Hast du nicht was vergessen?, fragte er mich nach ein paar Minuten.“
„Ne, was denn?“ Ich schaute ihn an. „Na, das Gewehr! Wir gehen doch auf die Jagd. Hast du doch gesagt.“ Seine Stimme rutschte bedenklich ins jammervolle ab. „Stimmt, ich habe gesagt, dass ich dich mitnehme auf eine Jagd. Ich jage aber nicht mit dem Gewehr, ich bin ja gar keine Jägerin, sondern mit dem Fotoapparat.“
„Mit dem Fotoapparat? Aber damit kannst du den Fuchs doch gar nicht abknallen. Du hast versprochen…“, wütend schaute mich der Blondschopf an.
„Stopp, mein Freund, ich habe überhaupt nichts versprochen und ich würde auch nie ein Tier abknallen. Ich nehme dich mit in den Wald, weil ich dir etwas zeigen möchte. Etwas sehr seltenes. Entweder du kommst jetzt mit oder ich rufe deine Mutti an, dass sie dich jetzt wieder abholt. Du hast die Wahl.“
Tims innerer Kampf dauerte ein paar Minuten, doch dann kamen zum Glück die erlösenden Worte:
„Okay, ich komme mit. Aber was willst du mir zeigen, was ist so selten?“ Die Fragen purzelten nur so aus seinem Mund heraus, sodass ich ihm etwas energischer Einhalt gebieten musste.
„Ruhe jetzt. Wenn wir überhaupt etwas sehen wollen, redest du ab sofort kein Wort mehr. Wir gehen schweigend bis zur Waldkante und dann bekommst du die letzten Anweisungen.“
Ein kurzen Nicken und wir liefen in der Morgendämmerung auf den Wald zu. Die ersten Vögel waren auch schon zu hören.
Als wir die Waldkannte erreicht hatten, gab ich Tim die letzten Ansagen. Ich flüsterte: „So, wir gehen jetzt langsam diesen Wildwechsel lang, noch ca. eine Viertelstunde. Ich gehe voran und du bleibst direkt hinter mir. Kein Mucks. Schau, wo du hintrittst. Wir müssen ganz leise sein. Wenn uns der Eichelhäher hört und seinen Warnruf rausschickt, ist alles vorbei. Dann können wir umdrehen, ohne etwas entdeckt zu haben.“
Tim nickte und wir schlichen leise los. Es war gar nicht so einfach, aber zum Glück war auch Tim ja schon oft im Wald unterwegs. Nach einiger Zeit lichteten sich die Bäume vor uns. Ich gab das Zeichen zum Hinlegen und wir robbten langsam an die Abbruchkante heran.
Ich lugte gespannt hinunter und schaute aus ca. vier Metern auf eine kleine Lichtung. Vor einiger Zeit war hier eine alte Fichte dem Sturm zum Opfer gefallen. Der rausgerissene Wurzelteller wurde gerade gut sichtbar durch die Strahlen der aufgehenden Sonne. Tim wollte so eben etwas sagen, aber ich legte schnell meinen Zeigefinger an meinen Mund. Hoffentlich hatten wir Glück, denn allzu viel Stillhalten konnte ich von einem sechsjährigen Jungen ja nun doch noch nicht erwarten. Die Zeit lief und wir hatten Glück.
Plötzlich kam Bewegung in das Wurzelgewirr am Stamm. Ich machte langsam meine Kamera startklar und zeigte Tim lautlos die Richtung. Da kamen sie. Zuerst die Fähe, die sorgfältig die Gegend absuchte und ihre Nase schnuppernd in den Wind hielt. Wir hatten Glück, er stand gut und das Fuchsweibchen konnte uns nicht riechen. Kurz darauf stolperten drei kleine Fuchswelpen aus ihren unterirdischen Bau heraus. Die Kleinen waren noch etwas tollpatschig, aber trotz der frühen Stunde schon zum Spielen aufgelegt. Das war ein Gerangel. Mutter Fuchs nutze die Zeit für eine ausgiebige Fellpflege in der Morgensonne. Plötzlich spitzte sie jedoch die Ohren, gab einen kurzen Laut von sich und die Jungtiere verschwanden sofort im Bau. Kurz darauf erschien Vater Fuchs mit dem Frühstück im Maul. Zum Glück war es diesmal kein Huhn, dachte ich erleichtert. Nach einer liebevollen Begrüßung der Elterntiere verschwanden auch sie im Fuchsbau. Plötzlich war alles wieder ruhig, als hätte es die kleine Szene nie gegeben. Ich gab Tim das Signal zum langsamen Rückzug. Als wir ein Stückchen weg waren setzen wir uns auf einen umgestürzten Baumstamm in die Sonne.
„Na, hat es sich gelohnt?“ Ich schaute Tim an. „Och, war das niedlich. Die sehen ja so süß aus, richtig zum knuddeln.“ Timmis Augen strahlten. „Und, soll der Jäger immer noch den alten Fuchs abschießen?“ Ich schaute Tim ernst an.
„Naja, ich weiß nicht so recht. Klar müssen die was fressen, aber doch nicht meine Elsa!“ Immer noch leicht wütend, biss Timm in seine Geflügelwiener. „Schmeckt sie dir?“, ich zeigte auf seine Wurst. „Ja, lecker.“, kam es undeutlich aus dem vollen Mund zurück. „Das war auch mal ein Huhn, das hatte zwar kein Namen, aber es ist gestorben, damit du lecker Wiener essen kannst. Und deine Elsa ist gestorben, damit die kleinen Fuchswelpen etwas zum Fressen haben. Wo ist da jetzt der Unterschied?“
Tim hörte sofort mit dem Kauen auf und schien zu überlegen, ob er die Wurst jetzt ausspucken oder doch runterschlucken sollte. Er entschied sich fürs letztere.
„Ich bin aber doch traurig. Elsa war meine Freundin.“ Schon kamen ihn wieder die Tränen.
„Tim, du darfst auch traurig sein. Das ist völlig in Ordnung. Nur deine Wut bringt hier nichts. Dein Vater hat mir erzählt, dass der Zaun wohl nicht ganz dicht war und die Elsa hat sich von den anderen getrennt und ist durch ein Loch in den Garten gekommen. Wäre der Zaun in Ordnung gewesen, hätte Gevatter Fuchs wohl mit einer Wühlmaus zum Frühstück vorlieb nehmen müssen. Mach es dir zur täglichen Aufgabe und kontrolliere immer wieder den Zaun.“
Ich stand auf und griff nach meinem Rucksack. “ Wollen wir wieder zurück? Jetzt habe ich Hunger.“
Timm nickte und mit einem kleinen Lächeln meinte er nur: “Wenn ich groß bin, werde ich vielleicht Vegetarier. Aber bis dahin lasse ich mir meine Wiener noch schmecken.“
Sprach‘s und bis herzhaft in seine Wurst.